Wanderer

mit Dmitry Batalov

Photo: Didier Depoorter

Dauer: 65 Min.

Dmitry Batalov - Pianist

Dieses Programm vereint vier Werke, die, obgleich aus unterschiedlichen ästhetischen Welten stammend, doch jedes für sich die expressiven und strukturellen Möglichkeiten des Klaviersolos ausloten. Vom frühen Romantiker Franz Schubert bis zur experimentellen Avantgarde des späten 20. Jahrhunderts spannt das Recital einen weiten Bogen und geleitet das Publikum in vielfältige Klanglandschaften, in denen das Klavier nicht nur Instrument ist, sondern ein Ort der Verwandlung, der Introspektion und der konzeptuellen Reflexion.

Helmut Lachenmanns "Serynade" (1998) mit seiner radikalen Neuerfindung des Klavierspiels bildet den Ankerpunkt des Programms. Hier weicht die traditionelle pianistische Technik einer präzisen Erkundung von Resonanz, Reibung und physischer Geste. Konventionelle Melodie und Harmonie werden vermieden; stattdessen entfaltet sich eine taktile und klangliche Erforschung des akustischen Potenzials des Instruments. Das Werk fordert nicht nur den Interpreten, sondern auch das Publikum heraus – und regt zu einer Neubewertung dessen an, was Musik sein kann.

Ein Jahr vor seinem Tod komponierte Giya Kancheli die "Sarabande" (2018), ein Werk, das den Fokus ganz auf Prägnanz und emotionale Zurückhaltung richtet. Dieses kurze Stück, voller zurückhaltender Ausdruckskraft und spiritueller Tiefe, offenbart Kanchelis einzigartige Stimme: leise, modal und ebenso sehr durch die Stille wie durch den Klang geprägt. Gewidmet ist das Werk dem Pianisten Sergey Babayan, für den es geschrieben wurde.

Im scharfen Kontrast dazu – und doch mit vergleichbarer struktureller Raffinesse – steht Leonid Hrabovskys "Homeomorphy II" (1968), ein Stück, das die Logik mathematischer Transformation auf den Klang überträgt. Unter Rückgriff auf topologische Konzepte gestaltet Hrabovsky eine konzentrierte, sparsame Klangwelt, in der kleine Ton- und Rhythmuszellen durch feine Permutationen weiterentwickelt werden. Diese Abstraktion wirkt nicht entfremdend, sondern meditativ – sie regt an zu intensivem Hören und weckt die Achtsamkeit für winzigste Veränderungen.

Franz Schuberts "Fantasie in C-Dur, D 760" (Wanderer-Fantasie, 1822) beschließt das Programm mit kühner formaler Innovation und thematischer Geschlossenheit. In vier ineinander übergehenden Sätzen integriert das Werk Lied, Variation, Fuge und Sonate zu einem nahtlosen Ganzen. Ein Zitat aus Schuberts früherem Lied "Der Wanderer" wird zum zentralen Motiv des gesamten Stücks – es verkörpert das romantische Thema existenzieller Ruhelosigkeit und schlägt eine Brücke zwischen lyrischer Intimität und symphonischem Anspruch.

Programm

Helmut Lachenmann
Serynade (1998-2000) 29’

Giya Kancheli
Sarabande (2018) 4'

Leonid Hrabovsky
Homeomorphy II (1968) 10' DEA

Franz Schubert
Fantasie in C major D.760 "Wanderer-Fantasie" (1822) 20’

Mitwirkende

dmitry batalov

Pianist

Der in der Schweiz lebende Pianist Dmitry Batalov wurde 1997 in Moskau geboren. Seine musikalische Ausbildung erhielt er an der Zentralen Musikschule sowie am Moskauer Staatlichen Tschaikowsky-Konservatorium, wo er sowohl Klavier als auch Musikwissenschaft studierte und 2021 mit Auszeichnung abschloss. 2022 zog er in die Schweiz, um an der Musik-Akademie Basel eine Spezialisierung im Bereich der zeitgenössischen Musik zu verfolgen, während er zugleich Klavier bei Prof. Claudio Martínez Mehner und historisches Klavier bei Prof. Tobias Schabenberger studierte. In dieser Zeit gewann er den ersten Preis beim Reate Festival Wettbewerb für zeitgenössische Musik in Rom (November 2023) sowie den John-Cage-Preis in Halberstadt, Deutschland (August 2024). Darüber hinaus erhielt er ein Stipendium der Stiftung Nicati-de-Luze und gewann den Göhner Musikpreis 2025 der Kiefer Hablitzel Stiftung. Derzeit absolviert er ein Postgraduiertenstudium an der Musik-Akademie Basel.

Batalov arbeitete mit Komponisten wie Helmut Lachenmann, Salvatore Sciarrino, Tristan Murail, Philippe Hurel, Marco di Bari, Fabio Vacchi und Vladimir Gorlinsky zusammen. Sein Repertoire umfasst alle stilistischen Epochen vom Frühbarock bis zur Gegenwart und beinhaltet zahlreiche monografische sowie konzeptuelle Recital-Programme – viele davon konzentrieren sich auf Dialoge zwischen etablierten und seltener aufgeführten Werken.

gija kancheli

Komponist

Gija Kancheli (1935–2019) war Georgiens bedeutendster Komponist.
Er schrieb Musik für zahlreiche Theaterproduktionen und Dutzende Filme, darunter „Mimino“ und „Kin-dza-dza!“. Zudem komponierte er sieben Sinfonien und die Oper „Music for the Living“.

In den 1970er-Jahren lehrte Kancheli Instrumentation am Staatlichen Konservatorium Tiflis und leitete die Musikabteilung des Rustaweli-Theaters in Tiflis. Nach dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 lebte er zunächst in Berlin und ab 1995 in Antwerpen, wo er Composer-in-Residence beim Königlichen Flämischen Philharmonieorchester wurde.

Ein Gefühl des Exils und die Sehnsucht nach einer unwiederbringlich verlorenen Zeit und einem verlorenen Ort sind wiederkehrende Motive in seiner Musik.

leonid hrabovsky

Komponist

Leonid Hrabovsky (geboren 1935 in Kyjiw, Ukraine) ist einer der ukrainischen Komponisten, deren Werke den Beginn der Moderne in der ukrainischen Musik markierten. Er gilt als eine der bedeutendsten und originellsten schöpferischen Stimmen, die im späten 20. Jahrhundert aus Osteuropa hervorgegangen sind.

Hrabovsky studierte Komposition bei Boris Ljatoschynskyj und Lev Revutskyj am Konservatorium Kyjiw, wo er 1959 seinen Abschluss machte. Seine Diplomarbeit, "Vier ukrainische Lieder" für Chor und Orchester (1959), gewann den ersten Preis in einem gesamtunionweiten Wettbewerb. Schostakowitsch schrieb darüber: "Die 'Ukrainischen Lieder' von Hrabovsky haben mir außerordentlich gefallen — seine Bearbeitungen beeindruckten mich durch die Freiheit der Behandlung und eine gute Choralführung."

Hrabovsky war einer der ersten sowjetischen Komponisten, die den Minimalismus aufgriffen. Sein Schaffen umfasst dramatische, orchestrale, kammermusikalische, vokale und solistische Instrumentalmusik. 1990 zog er nach New York, um die Position des Composer-in-Residence am Ukrainian Institute of America zu übernehmen. Heute lebt er in den Vereinigten Staaten und ist weiterhin als Komponist, Organist und Gastdozent tätig.

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