LÄRM / TON / KLANG / STIMME

Blixa Bargeld und Dror Feiler über die Entstehung der Performance „No Sound is Innocent XIII“.

Blixa Bargeld:

Als Dror Feiler mich das erste Mal auf eine mögliche Zusammenarbeit, eine mögliche Komposition, einen Text, für das Voices Festival 2025 ansprach war meine spontane Eingebung: Bertolt Brecht "Kriegsfibel".

Die KI's sagen dazu:

Die "Kriegsfibel" ist ein bedeutendes Anti-Kriegs-Buch von Bertolt Brecht, das aus gesammelten Zeitungsbildern und seinen Kommentaren in Form von Versen besteht. Entstanden während seines Exils in Dänemark, dient das Werk dazu, den Betrachter kritisch mit dem Zweiten Weltkrieg auseinanderzusetzen und die Hintergründe des Krieges zu beleuchten. Die "Kriegsfibel" kombiniert Fotografien aus Zeitungen mit kurzen, prägnanten Gedichten – sogenannten Epigrammen –, die den Bildern eine neue, oft ironische oder aufdeckende Bedeutung verleihen.

Obwohl wir für diese Komposition keine visuellen Mittel vorgesehen haben, schien mir doch die Gegenüberstellung von Komposition (50 Minuten, acht "Bilder") und Epigrammen, Kurztexten eine reizvolle und gerechtfertigte Versuchsanordnung. Zunächst wollte ich noch ein paar von Brechts Texten integrieren, bin aber dann über die Monate und das Sammeln von Material (Zeitungslektüre!) davon abgekommen.

No Sound is Innocent XIII ist in seiner ersten Version (Wer weiss? Vielleicht machen wir noch ein paar andere Versionen) ein Stück in acht Teilen für 7 Musiker des Zafraan-Ensembles und drei Solisten: Blixa Bargeld – Stimmakrobatik und Sprecher, Dror Feiler – Blasinstrumente und Live-Elektronik, Mats Lindström – Live-Elektronik.


Dror Feiler:

No Sound is Innocent XIII
erforscht Kampf und Konstruktion als einander entgegengesetzte und doch voneinander abhängige Kräfte, die im Kontrast zur Tradition meditativer Kontinuität in der schwingenden Linie oder Struktur stehen. Die Komposition arbeitet mit NOISE / TONE / SOUND / VOICE – nicht als bloßem Medium, sondern als jenem Ort, an dem Material und Bedeutung zusammenfallen.

Die Idee des Kampfes als Form – für Ausführende wie für Zuhörer*innen – impliziert ein Modell des Widerstands, das sich unaufhörlich in Myriaden singulärer, delirierender Variationen neu konfiguriert. Dieser Kampf ist nicht episch im herkömmlichen Sinn; er erzählt weder einen organischen Prozess noch ein Abenteuer auf dem Weg zur Auflösung. Stattdessen erzeugt er eine diskontinuierliche Morphologie: einen Riss, eine Klanglücke und eine zerklüftete Lyrik im Text, die ihre eigene Form zugleich hervorbringt und auflöst.

Die Improvisations- bzw. Noise-Einschübe fungieren weder als strukturelle Interpunktion noch als Zielpunkte innerhalb eines Makrodesigns. Sie existieren als integrale Momente innerhalb des Ganzen – Ereignisse, die uns zum eigentlichen Stoff von NOISE / TONE / SOUND / VOICE zurückführen. Anders als in traditionellen musikalischen Systemen, in denen Dissonanz einer höheren abstrakten Ordnung untergeordnet ist, wird hier das kompositorische Material selbst – das singuläre, körperlich erfahrbare Klangpartikel – zur zentralen Ausdruckskraft.

Jedes NOISE / TONE / SOUND / WORD trägt Bedeutung, doch keine Hierarchie regelt ihre Beziehung. Jeder Klang steht dem Zentrum gleich nahe und wirkt gleichermaßen an der Konstruktion wie an der Destabilisierung jenes Klangraums mit, der das Werk bestimmt.

Künstlererklärung von Dror Feiler*:

Während sich ein Genozid vollzieht zu komponieren, ist für mich nicht nur eine Frage der Ethik. Es ist eine Frage der Existenz. Jede Komposition, jede Struktur wird zu einer Entscheidung – Komplizenschaft oder Konfrontation. Für mich ist das keine Abstraktion; es ist ein gelebter Riss. Ein ehemaliger israelischer Fallschirmjäger, heute ein kompromissloser Kritiker israelischer Staatsgewalt. Ein europäischer Jude, der sich weigert, Identität zur Waffe machen zu lassen. Ein Komponist, dessen Klang nie unschuldig war – bestritten, aufgeladen, ein Feld des Kampfes. Jetzt, in Gaza – Genozid, der sich vollzieht, geleugnet, ausgelöscht – wird dieses Dilemma brennender als je zuvor.

Musik zu schreiben im Krieg (Palästina, Ukraine) heißt, dort zu stehen, wo Schönheit und Grauen sich berühren, wo Ausdruck am Rand des Verrats zittert. Kann man komponieren, während Bomben fallen? Sollte man? Ist Komposition ein Rückzug, ein Verrat an den Toten und Verstummten? Oder kann sie Widerstand sein – eine Verweigerung, der Brutalität die Grenzen des Klangs, die Grenzen des Menschlichen zu überlassen?

Manche sagen, Kunst müsse schweigen, dass nur Stille noch Würde habe. Andere sagen, aufzuhören zu schaffen heiße, der Gewalt den Sieg zu überlassen. Aber vielleicht liegt die tiefere Frage anders: Wie lässt sich Klang schaffen, der nicht betäubt, der nicht lindert, wo Schmerz roh bleiben muss? Wie Musik schreiben, die zittert und sich weigert, über die Trümmer hinwegzuerheben?

Komponieren im Krieg darf keine Flucht sein – es muss Konfrontation sein. Nicht Trost, sondern Bruch. Jetzt durch Klang zu sprechen heißt, Blut in die Partitur einzuschreiben und dem Geräusch zu überlassen, die Wahrheit zu tragen. Dissonanz ist die Wahrheit über Harmonie.

*Das Voices Berlin Festival bietet eine Plattform für eine Vielfalt künstlerischer Stimmen. Die folgende Erklärung gibt ausschließlich die persönlichen Ansichten des Künstlers wieder.

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